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Objekt der Begierde: Wer liefert was?

von Monika Busch.

Anfang November dieses Jahres wurde der Superdeal offiziell bestätigt: Die Dr. Oetker KG beabsichtigt die Akquisition des Onlinegetränkelieferdiensts Flaschenpost SE mit Sitz in Münster. Entsprechende Verträge wurden am 30. Oktober 2020 unterzeichnet. Die Transaktion steht unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch die Kartellbehörden. Interesse hatte die Oetker-Gruppe bereits im Jahr 2016 bekundet. Verhandlungen sollen stattgefunden haben, Einblicke in Firmen­interna gewährt worden sein. Eine Einigung kam damals nicht zustande. Stattdessen wurde in Berlin von Radeberger Durstexpress gegründet. In der Start-up-Szene wurde heftig über den „Flaschenpost-Klon“ diskutiert.

Durstexpress, der zur Radeberger-Gruppe (Oetker) gehörende Onlinegetränkelieferdienst, soll mit dem ehemaligen Mitbewerber Flaschenpost verschmolzen werden. Geleitet werden soll das erweiterte Unternehmen von einem Vorstand, der sich aus Mitgliedern des Vorstands der Flaschenpost SE sowie der Geschäftsführung von Durstexpress zusammensetzt. Der Onlinegetränkedienst soll zukünftig aus zwei zentralen Verwaltungen in Berlin und Münster gelenkt und weiterentwickelt werden.

Über den Kaufpreis wurde wie üblich Stillschweigen vereinbart. Es kursiert eine Summe von 800 Millionen Euro bis zu einer Milliardensumme, was kaum vorstellbar ist.
SWR-Recherchen zufolge soll im Vorfeld „auf die Mitarbeiter beider Firmen massiv Druck ausgeübt worden sein“ (SWR, 6. November 2020, Marcel Kolvenbach). So habe ein Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte, von der Übernahme erst durch die Medien erfahren. Und aus Sicht der Mitarbeiter erscheine die angebliche Milliardenübernahme fast schon obszön. Sie hätten knapp über Mindestlohn im Akkord schuften müssen, unbezahlte Überstunden, kein pünktlicher Feierabend sowie Probleme beim Arbeitsschutz wurden zudem genannt.

Auch die Wahl eines Betriebsrats versuchte Flaschenpost gerichtlich stoppen zu lassen. Das Landgericht Düsseldorf hat das aber abgeschmettert. Mit der Betriebsratswahl gehe ein langer und steiniger Weg zu Ende, sagt Zyde Torun, Geschäftsführerin der Region Düsseldorf der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG).
Die NGG sieht in der erstmaligen Betriebsratsgründung bei Flaschenpost einen Meilenstein. Im Bereich der Lieferdienste gebe es noch immer viele Betriebe ohne Interessenvertretung. „Wir gratulieren den Flaschenpost-Beschäftigten in Düsseldorf zu ihrer klugen Entscheidung, einen Betriebsrat zu wählen. Sie haben Mut und einen langen Atem bewiesen. Das hat sich ausgezahlt“, so Torun.

Die derzeitigen Eigentümer von Flaschenpost seien bisher dadurch aufgefallen, die Betriebskosten auf dem Rücken der Beschäftigten zu minimieren. Die prekären Arbeits­bedingungen – beispielsweise waren die Lieferwagen im Hochsommer ohne Klimaanlagen unterwegs – und die schlechte Bezahlung wurden immer wieder öffentlich angeprangert. „Vor allem hat das Unternehmen alles darangesetzt, die Gründung von Betriebsräten zu verhindern. Für die Beschäftigten von Flaschenpost kann es nur besser werden. Immerhin gehört es bei ­Oetker zum guten Ton, die Arbeitsbedingungen mit der NGG zu regeln“, sagt Freddy Adjan, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft. So seien alle Betriebe der Radeberger-Gruppe, von den Brauereien bis zu den Produzenten von Erfrischungs­getränken, tarifgebunden.

Adjan appelliert an den Oetker-Konzern, mit der NGG nach der Übernahme einen Tarifvertrag für die Beschäftigten von Flaschenpost abzuschließen. Flaschenpost beschäftigt an 22 Standorten bundesweit nach eigenen Angaben bis zu 400 Mitarbeiter pro Standort und liefert mit bis zu 150 Fahrzeugen pro Standort vor allem Getränke.
SWR-Recherchen haben jedoch ergeben, dass bei Durstexpress mit rund 3.500 Mitarbeitern und 14 Logistikstandorten ähnliche Probleme auftreten. Gespräche mit ehemaligen und aktiven Mitarbeitern hätten dies gezeigt (Vertragsunterlagen und Gehaltsabrechnungen liegen dem SWR vor).

Im E-Business ist Flaschenpost-Gründer Dieter Büchl seit 2002 mit der Gründung der Firma Media Concept gemeinsam mit Partner Andreas Gebauer tätig. Zu diesem Zeitpunkt gehörten sie zu den ersten Anbietern, die Tinte und Toner über das Internet verkauften. Ihr Onlinevertrieb beschränkte sich dabei zunächst auf Deutschland. Ihr erster Onlineshop www.tinte24.de wurde 2003 ins Netz gestellt. Schon ein Jahr später musste die Geschäftsfläche auf 400 Quadratmeter erweitert werden, 2006 erfolgte dann der Umzug nach Hohenbrunn mit 600 Quadratmeter Bürofläche und einem Lager von 2.100 Quadratmetern. Im März 2011 vollzogen die Gründer ein Management-Buy-out: Andreas Gebauer blieb Geschäftsführer, während Dieter Büchl seine Position als Mitgeschäftsführer an Sebastian Köhler abgab.

Die nächste Station von Büchl war die Zoogigant AG. In der damaligen Unternehmensmeldung von Zoogigant hieß es: „Insbesondere konnten wir mit Dieter Büchl einen ausgewiesenen Fachmann im Onlinegeschäft für uns gewinnen. Er hat durch den erfolgreichen Aufbau einer profitablen Onlineunternehmensgruppe mit einem Umsatzvolumen von zuletzt über 80 Millionen Euro bereits bewiesen, dass er ein ausgewiesener Experte im Aufbau und der Expansion von Onlineshops ist. Wir freuen uns sehr, dass er sein Know-how nun in die Zoogigant AG einbringt und uns im Rahmen unserer Wachstumsstrategie beratend zur Seite steht. Im Rahmen der nächsten Generalversammlung schlagen wir ihn zudem als Mitglied für den Verwaltungsrat vor“. (Jörg Balters, Verwaltungsrat der Zoo-gigant AG).
Im August 2012 gründete Dieter Büchl die Flaschenpost GmbH. Die Idee war nicht neu, neu allerdings als Onlineplattform.
Ein Vorreiter: die Quellen-Lehnig AG, ein Mineralbrunnenbetrieb mit Sitz in der nordhessischen Stadt Eschwege. In der Nachkriegszeit während des Wirtschaftswunders hatte das Unternehmen mit seinem innovativen Verkaufskonzept, Privatkunden Mineralwasser und später unter anderem auch Limonade und Bier pfandfrei nach Hause zu liefern, großen Erfolg und erlangte bundesweite Bekanntheit. Anfang 1962 bot Quellen-Lehnig nach einer erneuten Angebotserweiterung neben Mineralwasser, Limonade, Bier und den Kaffeesorten Lehnig blau und Lehnig rot auch insgesamt 16 Sorten Spirituosen und Weine zum Einheitspreis an. Darunter waren Likör, Branntwein, Whisky, Sekt, Mampe Halb und Halb, französischer Burgunder- und Roséwein sowie deutscher Weißwein. Zu dieser Zeit verfügte der Konzern über 2.700 Lieferfahrzeuge und bundesweit 34 Standorte und belieferte mehr als 1,5 Millionen Haushalte im gesamten Bundesgebiet. Insbesondere in ländlichen Regionen erzielte das Unternehmen hohe Umsätze. Über mehrere Jahre hinweg hielt Quellen-Lehnig konstant 14 Prozent Marktanteil am bundesdeutschen Mineralwasserhandel.

Zum Ende der 1960er-Jahre konnte der Absatz nochmals gesteigert werden. Fast eine Million Hektoliter alkoholfreier Getränke sowie Bier, Wein, Sekt und Spirituosen wurden an über zwei Millionen Verbraucher und mehr als 10.000 Hausverkaufsstellen vertrieben. Darüber hinaus waren durch Zukäufe ein Heimdienstunternehmen in Frankreich und eins in den Niederlanden sowie mit der Städtischen Braue­rei Stadthagen die drittälteste Brauerei Europas erworben worden.

Zurück zu Flaschenpost: Nach einer Projektierungsphase wurde im Oktober 2014 zum ersten Mal aus einem eigenen Lager in Münster geliefert. Die unerwartet hohe Nachfrage führte schnell zu einer Überlastung der Logistikprozesse, sodass eine Überführung der Testphase in den Regelbetrieb nicht möglich war. Aus diesem Grund wurde der Lieferbetrieb Ende Januar 2015 zunächst wieder eingestellt. …

Die vollständige Redaktion finden Sie in unserer Print-Ausgabe 10-11-12/2020