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Pierre Nierhaus: Gastro-Trendreport 2022/2023

von Pierre Nierhaus

Pierre Nierhaus erkundet in seinem alljährlich erscheinenden Gastro-Trendreport Gastronomie- und Ernährungstrends und schaut über den Tellerrand hinaus. Das Jahr 2021 hat allen viel abverlangt. Nachdem im Sommer die Krise überwunden schien, hat sich die Situation zum Winter und dem Jahreswechsel erneut dramatisch verändert. Wieder hart getroffen: Gastronomie, Hotellerie, Tourismus und natürlich der Handel. Eine Branche im Dauerstress? Jein, meint Trendexperte Pierre Nierhaus.

Viele Punkte aus seinem Trendreport 2021/2022 haben sich bewahrheitet, aber die Pandemie dauert länger und schadet allen Menschen und Branchen. Dabei waren Restaurants und Hotels nie Pandemietreiber. Bei allem Ärger über das Regelchaos: Gastronomen und Hoteliers setzen professionell die Vorgaben um, investieren in Hygiene, saubere Luft, Digitalisierung und schaffen so eine sichere Umgebung.
Auch in seinem Trendreport 2022/2023 blickt Pierre Nierhaus auf die gesamte Hospitality-Branche – national wie international. Aus konzeptioneller sowie unternehmerischer Sicht analysiert er die wichtigsten Entwicklungen in allen Bereichen, die mit F & B zu tun haben: Gastronomie, Hotellerie, Gemeinschaftsverpflegung, Bäckereien und Shopping. Seine Schlussfolgerungen sollen Inspiration und Anregung für Veränderungen liefern, die Nierhaus in einer großen Klammer zusammenfasst: „Es gibt keine Kunden, Patienten, Klienten. Alle sind Gäste. Vorbild für erfolgreiche Dienstleistung in allen Branchen sind die gute Gastronomie und Hotellerie.“

Die Einschätzungen von Pierre Nierhaus beruhen auf seiner Kompetenz und Erfahrung als Trendexperte für Hospitality und Lifestyle sowie als Gastro-Unternehmer und Konzeptentwickler.

Die „neue“ Gastronomie zeigt sich krisengereift und bereit zum fulminanten Durchstarten

Der Druck ist weiterhin da, aber Gastronomen haben sich neu aufgestellt und ihre Resilienz gestärkt. Digitalisierung und Nachhaltigkeit werden noch stärker, Einfachheit ist Trumpf, die Wertschätzung für Gäste und Mitarbeiter ist ein Muss, Erlebnis und Freundlichkeit sind die Basis.

Was war, was bleibt. Die Megatrends gelten immer noch, sind aber durch die Pandemie verändert: Gesundheit und Sicherheit, Urbanisierung, Mobilität, Nachhaltigkeit, Konnektivität in Form von „Work everywhere“ und neuen Services. Die Branche hat sich professionalisiert. Gewinner sind die Systemer, Ketten und Gastrogruppen. Die Individualgastronomie, die wegen ihrer Einzigartigkeit, Vielfalt und Fröhlichkeit geliebt wird, ist nach wie vor hart getroffen. Nicht alle Betriebe werden überleben. Frei werdende Locations sind eine Chance für Start-ups und innovative Macher.

Food ist Lifestyle und dabei, mit Musik und Mode gleichzuziehen. Food wird zum Ausdruck einer Einstellung, ist Statussymbol und dient der Selbstverwirklichung über Essen. Plant-based, Bio, No Waste oder CO2-Foodprint sind Facetten dieses Lifestyles und Demonstration für verantwortungsbewusste Nachhaltigkeit. Nicht Veganer und Vegetarier bestimmen den Markt, sondern die Flexitarier.

Einfachheit und Menschlichkeit sind der neue Luxus

Einfachheit, weil sie Trend ist, die persönliche Komplexität reduziert und – für alle Foodprofessionals – weil sie aus Kostensicht notwendig ist. Freundlichkeit im Umgang miteinander ist der Trumpf und Ausdruck von Menschlichkeit und Respekt.

Im Businessbereich sind Gastfreundschaft und Persönlichkeit die Super-USPs für Individualgastronomie sowie Hotellerie und damit nahezu ein Gegenpol zur Digitalisierung und Vereinfachung. Freundlichkeit steht auch bei den Mitarbeitern im Mittelpunkt: Der Mensch zählt – der Mitarbeiter ganz besonders. Schlechte Kultur wird abgestraft, beispielsweise Aufstand bei den Lieferdiensten, Betriebsräte bei Starbucks und Gorilla. Plattformen wie Netflix, Uber, aber auch Too good to go (gegen Lebensmittelverschwendung) sind die neuen Stars. Plattformen kooperieren miteinander, gehen Partnerschaften mit Ketten ein und werden noch mächtiger: Paypal mit Amazon, Uber Eats mit Starbucks.

Gastronomie im Wandel

Preise wurden angehoben und werden weiter steigen. Konzepte wurden überarbeitet: einfacher (Angebote, Produkte – High Convenience, Service), digitaler, profilschärfer. Immer mehr Gastronomen entdecken neue Bereiche, beispielsweise biozertifizierte Kita-Versorgung, Betriebsrestaurants, Onlinehandel.

Wichtige Gästegruppen sind Millennials und Babyboomer. Sie schätzen ihre Freizeit, sind reise- und kontaktfreudig. Die Babyboomer gehen in Rente, haben Zeit, Geld und sind fit. Wirtschaftlichkeit ist das, was am Ende zählt: Profit first, also Gewinn vor Umsatz.

Die Krise hat den Markt grundlegend verändert: Schließungen und Pächterwechsel, die wirtschaftlich Erfolgreichen haben zugekauft. Perspektive: Die Innenstadt wird zum Erlebnis, forciert die Umwandlung von Büros in Wohnungen und die Besetzung frei werdender Handelsflächen durch Gastronomie zu bezahlbaren Mieten. Die Krise am besten überstanden hat Quickservice und hier die großen Ketten. Am stärksten betroffen waren der Tourismus und damit die Verkehrsgastronomie, Catering, besonders Eventcatering, sowie Bars und Klubs. Insgesamt steht Deutschland immer noch etwas besser da als andere Länder in Europa.
Mitarbeiter und Auszubildende fehlen. Die knappen Personalressourcen verändern das Dienstleistungsangebot speziell in der Gastronomie. Als Reaktion steigen die Löhne deutlich an. Ein Plus von 12,8 Prozent in der Beherbergung und von 9,9 Prozent in der Gastronomie wurde Ende 2021 festgelegt, und es geht weiter. Entscheidend wird sein, ob die Wirte sich diese Lohnsteigerungen leisten können – auch im Hinblick auf die höheren Energie- und Lebensmittelkosten. Weitere Ansätze: flexibles Personalrecruiting weltweit, neue Arbeitszeitformen (aber Viertagewoche gab es schon vor 25 Jahren), entkoppelte Produktion und prozessorientierte Küche.

Politik und Gesellschaft

Die Ampelkoalition steht in vielen Punkten gut zur Branche. Ziele der Politik in Deutschland sollten sein: Einführung der dauerhaft reduzierten Mehrwertsteuer auch für Getränke, Normierung durch einheitliche Systeme bei Rücknahme von wiederverwendbarem Geschirr und einheitliche Softwareschnittstellen.

Auch in den Nachbarländern leidet die Branche unter den Auswirkungen der Pandemie. Als Tourismusnation ist man in Österreich bestrebt, die Aspekte von Gastronomie und Tourismus zu schützen. So gibt es zwar eine Tourismusministerin, aber auf der anderen Seite passieren Schildbürgerstreiche wie die Restaurantschließung an Silvester um 22 Uhr. In der Schweiz ist man eher unzufrieden damit, wie die Politik mit der Branche umgeht.

F & B – Klebstoff der Gesellschaft

Das Bedürfnis nach dem Miteinander, nach Verbindungen und Beziehungen ist urmenschlich. Seit jeher traf man sich mit der Familie, Freunden und Gästen beim gemeinsamen Mahl. Das ist bis heute so geblieben. F & B ist der Klebstoff der Gesellschaft. Ausgehen steht für neue und bekannte Menschen treffen, für (bezahlbares) Erlebnis und Austausch in der Community. Dazu gehören die Inszenierung auf allen Ebenen und der perfekte Auftritt. Einkaufszentren und Malls nutzen die Gastronomie zur Schaffung von Erlebniswelten und verdoppeln ihre Gastroflächen. …

Die vollständige Redaktion finden Sie in unserer Print-Ausgabe 4/2022