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(W)ein Europa der Regionen

von Mario Scheuermann

In Frankreich hat inzwischen die überwiegende Mehrheit der Weinbaugebiete ihre Dossiers für die zukünftige Weinmarktordnung der EU in Brüssel hinterlegt. In Spanien und Italien sind die meisten D.#O.s und D.#O.#C.s weitgehend kompatibel mit der neuen Rechtslage.
Auch in Österreich ist viel Bewegung zu erkennen. Für den Herbst dieses Jahres stehen mit Leithaberg und Eisenberg bereits die sechste und siebte DAC in den Startlöchern, und selbst in Ungarn formieren sich diese neu definierten Weindistrikte. Nur Deutschlands Winzer und ihre Funktionäre üben sich mal wieder in ihren Lieblingsdisziplinen Lamentieren, Blockieren, Auf-die-lange-Bank-Schieben.
So führen beispielsweise die Ortenauer Winzer lautstark Klage, durch diese Reform werde ihr Kapital, die schwer zu bearbeitenden Hanglagen, entwertet. In Zukunft werde Massenwein aus der Ebene Preise und Image kaputt machen.
Das ist natürlich absoluter Quatsch. Ein Gebiet wie die Ortenau kann selbst bestimmen und festlegen, welche Weine künftig die Herkunftsbezeichnung „Ortenau“ tragen dürfen und welche nicht. Also beispielsweise nur Rieslinge aus Steillagen, handgelesen mit Ausbau im traditionellen Holzfass usw. usw.
Wenn dies als Appellations¬dossier in Brüssel hinterlegt und abgesegnet ist, heißt es „aus die Maus für Vollernterpiraten aus der Ebene“. Ortenauer wäre dann so etwas wie Chablis oder Sancerre. Nur wären dazu Einigkeit nötig sowie ein daraus resultierendes entschlossenes, gemeinsames Denken und Handeln. Genau daran fehlt es aber, nicht nur in der Ortenau.
Zwei aktuelle Beispiele zeigen aber, dass es auch anders geht. So hat der rheinhessische Weinmacher Dirk Würtz die Winzer seiner Gemeinde Gau Odernheim in den vergangenen Monaten mobilisiert und organisiert, um einen Ortsweintypus zu kreieren, den sie gemeinsam produzieren und vermarkten wollen, und zwar als Gau Odernheimer „Ortswein“, mit einem klaren Profil der Sorten und des Geschmacks.
Noch viel weiter geht eine Initiative im Dreiländereck Deutschland-Frankreich-Luxemburg. Sie nennt sich „Charta Schengen Prestige“ und ist nichts anderes als die erste grenzüberschreitende Weinappellation Europas. Sieben Erzeuger aus Lothringen, von der Saar und aus Luxemburg haben sich auf ein Reglement verständigt, das weinrechtlich kompatibel für alle drei Länder ist, nach dem sie künftig gemeinsam Weine produzieren und vermarkten werden.
Das genau ist es aber, was die von den deutschen Winzern beschimpften EU-Weinbürokraten wollen: ein Wein-Europa der Regionen, nicht der Nationen, Länder oder Provinzen. Die Winzer sollen sich in eigener Verantwortung selbst organisieren. Dieses Umdenken fällt aber den von Bürokratie und Funktionären und Ämtern seit Jahrzehnten wie unmündige Kinder gegängelten deutschen Weinbauern besonders schwer.
Dass einige stark genossenschaftlich organisierte Regionen Badens und Württembergs sich längst auf den Weg in die richtige Richtung gemacht haben, ändert nichts an der generellen Fehleinschätzung der Situation durch weite Teile der deutschen Weinwirtschaft. Statt die Chance eines Befreiungsschlags zu nutzen, rufen viele wieder nach mehr Schutz durch den Staat und damit nach mehr Nationalstaat.