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Was die Wirtschaft von Thomas Tuchel lernen muss: Learn to unlearn! Lernt, zu vergessen!

von Sven Gábor Jánszky

Thomas Tuchel heißt der Nachfolger von Jürgen Klopp bei Borussia Dortmund.

Die einen haben es schon immer gewusst, die anderen überrascht es nicht … ­Tuchel gilt derzeit als das Wunderkind unter den Bundesligatrainern. Zu Recht. Denn er hat eine Fähigkeit, die die anderen nicht haben: Er kann seine Spieler vergessen lassen. Von Spieltag zu Spieltag vergessen sie alte Regeln und lernen neue: Spielsysteme, Raumaufteilungen, Lauf- und Passwege. „Learn to unlearn“ ist eine Eigenschaft, die sich innovative Manager in der Wirtschaft bei Thomas Tuchel abschauen sollten.

Denn wenn Unternehmen das Potenzial von disruptiven Innovationen ergreifen wollen, dann müssen sie vor allem eine sehr persönliche mentale Schwelle überwinden. Ihr größtes Problem ist: Ihre Manager vergessen nicht. Doch wer nicht schnell genug vergisst, der misst den überkommenen Regeln alter Systeme mehr Bedeutung bei, als sie haben.

Wir Strategieberater des Trendforschungsinstituts 2b AHEAD ThinkTank treffen bei unseren Kunden ständig auf dieses Phänomen. „Learn to unlearn!“ ist unsere Lieblingsübung für Vorstände und Führungskräfte. Doch lesen Sie selbst, warum nicht nur Thomas Tuchel, sondern auch Innovationsköpfe der Telekom, GE und der Ryan-Air-Gründer auf das „Vergessen nach Plan“ setzen.

Es war auf der großen Bühne des Telekom-Auditoriums, als einer der langjährigen Sparrings­partner meines 2b AHEAD ThinkTank einen seiner denkwürdigsten Auftritte hatte. Fünf Minuten hatte Dr. Stefan Bungart bekommen, um auf der großen Bühne bei der alljährlichen Kick-off-Versammlung der weltweit wichtigsten Telekom-Führungskräfte seine Botschaft zu verkünden.

Er war kaum fertig, da sprangen seine 1.000 Zuhörer von den Sitzen. Sie klatschten und jubelten. René Obermann, damals noch Vorstandsvorsitzender, sprang auf die Bühne und rief in die tobende Menge, dass Bungart, falls aus seiner Telekom-Karriere als Senior Vice President für New Services nichts werden sollte, immer noch Komiker werden könne.

An das Get-together danach erinnert sich Bungart heute noch und sagt: „500 Leute kamen auf mich zu und bedankten sich, weil ich ihnen aus dem Herzen gesprochen hatte.“ Was war geschehen? Bungart hatte sich Gedanken gemacht, wie er seine „fünf Minuten mit René in der Sonne“ nutzen könnte. Er hatte sich entschieden, den klügsten Köpfen des Telekom-Imperiums einen kleinen Spiegel vorzuhalten.

Er sei ja neu dort, hatte er begonnen. Und seine erste Feststellung im Telekom-Kosmos sei gewesen: „Ihr wisst ja alles. Ihr habt ja das Gedächtnis eines Elefanten.“ Da waren sie noch still gewesen. „Ich kann mit euch kein Gespräch anfangen, ohne dass jemand von euch sagt, dass dieser Gedanke schon probiert wurde oder dass da schon 20 Leute dran arbeiten.“

Der prägende Satz seiner ersten Monate im Konzern sei gewesen: „Das haben wir alles schon gehabt.“ Da hätte man ihm auch gleich sagen können: „Leg dich wieder hin!“ Bungart hatte auf der Bühne eine Pause gemacht. Er ließ wertvolle Sekunden seiner exakt limitierten fünf Minuten verstreichen. „Wir haben ein Problem“, sagte er schließlich. „Unser Problem ist, dass wir nicht verstanden haben, dass die Qualität einer Idee immer von ihrem Umfeld abhängt. Und das Umfeld verändert sich in diesen Zeiten rasant. Eine Führungskraft, die also heute denkt, sie könne über eine Idee mit einer Analyse urteilen, die sie vor fünf Monaten gemacht hat, die hat ihren Job nicht verstanden.“ Bungarts Analyse war simpel: „Wir sind absolute Profis im Erinnern. Aber wir sind laienhafte Amateure im Vergessen.“ Seine Abschlussbotschaft fasste er in drei Wörter: „Learn to unlearn!“ Es geschah, was in großen Unternehmen immer geschieht: Bungart war noch nicht wieder im Büro, als seine geflügelten Worte schon durch den Flurfunk waren. In den nächsten Monaten gingen sie als Hype durch die magentafarbenen Powerpoints. Wo immer ein Mitarbeiter sich traute, darauf hinzuweisen, dass diese oder jene Idee schon einmal verworfen worden sei, war jene Führungskraft nicht weit, die ihm auf den Kopf zurief: „Learn to unlearn!“

Nach einem halben Jahr allerdings legte sich die Euphorie. Wenn Sie Stefan Bungart heute fragen, was im Ergebnis passiert sei, lautet die Antwort: „Nichts.“

Wann haben Sie Ihre Mitarbeiter zuletzt aufgefordert, zu vergessen?

Aus meiner Sicht als Zukunftsforscher und Strategieberater ist das Vergessen die vermutlich meistunterschätzte Voraussetzung zur Innovation. In einer Welt der omnipräsenten Erinnerung, inmitten prozessgetriebener Innovationen und allzeit transparenten Wissensmanagements sind das Vergessen überkommener Regeln und das Verdrängen alter Gewohnheiten …

Die vollständige Redaktion finden Sie in unserer Print-Ausgabe 6-7/2015