Suche
Close this search box.

Wie der Klimawandel Anpassung im Weinberg erzwingt

von Paula Redes Sidore und Stuart Pigott

Eine Binsenweisheit des 21. Jahrhunderts besagt, dass Veränderungen von innen her geschehen. Tatsächlich sind Veränderungen in der Regel jedoch häufig die Reaktion auf Druck von außen. In vorigen Jahrzehnten wurde die Neubepflanzung von Weinbergen meistens von Marktanforderungen und aktuellen Trends angestoßen. Heute wird jedoch wegen eines vollkommen anderen Drucks von außen neu bepflanzt. Und mit dem Erscheinen des aktuellen Gutachtens zum globalen Klimawandel (2022 Global Assessment of Climate Change) ist zu erkennen, dass dieser Druck kein kultureller oder gesellschaftlicher ist, sondern von der Umwelt ausgeht.
Ebenso wie sich die Branche in den vergangenen Jahren schnell vom persönlichen auf das Onlinegeschäft umstellen musste, sehen sich Winzer nun mit speziellen Herausforderungen im Weinberg konfrontiert. Wie sie damit umgehen, ist so unterschiedlich wie die Weine selbst. Allerdings hat das vermehrt mit der Genetik der Weinreben zu tun, also mit den Klonen und der Arbeit im Weinberg.

Der Bordeaux-Kosmos

Der „Bordeaux-Stil“ steht weltweit für eine hochwertige rote Cuvée, produziert aus einer Kombination von Cabernet Sauvignon, Merlot, Cabernet Franc und Petit Verdot. Da die durchschnittliche Temperatur während der Vegetationsperiode in den letzten sechs Jahrzehnten jedoch um drei Grad Celsius angestiegen ist, wächst unter den Bordeaux-Winzern die Sorge, dass es bald nicht länger möglich sein wird, dem Bordeaux-Stil treu zu bleiben; jedenfalls nicht mit der Qualität und den Eigenschaften, die Konsumenten in jüngster Zeit zu schätzen gelernt haben – und erwarten.
Da die Verbraucher in den letzten Jahrzehnten sanftere, zugänglichere Weine bevorzugten, wurde in der Region vermehrt Merlot angepflanzt. Das führte dazu, dass die Rotwein-Weinberge der Region heute zu beeindruckenden 66 Prozent mit Merlot-Reben bestockt sind. Doch die Eigenschaften, die den Reiz des Merlots ausmachen, sind gleichzeitig seine Achillesferse: Er reift früh, weshalb sich viele Winzer angesichts übermäßiger Reife und Alkoholwerte sorgen.
Aktuelle Wetterdaten deuten darauf hin, dass sich die Rebsorte bereits im Jahr 2035 aus dem idealen Reifefenster hinausbewegen könnte. In den wärmsten Lagen, in denen die Reben gepflanzt sind, könnte das sogar noch früher geschehen. Eine mögliche Reaktion auf individueller Ebene ist es, die Reben, die in den vergangenen Jahrzehnten von den Winzern besonders geschützt worden sind, herauszureißen und stattdessen Cabernet Sauvignon anzupflanzen. Dieser Trend beschränkt sich bisher auf einige führende Produzenten des Médoc wie Château Brane-Cantenac und Château Léoville Barton; dies sind jedoch lediglich einige
wenige Pioniere.
Eine andere Strategie ist es, die Cuvée von Merlot wegzubewegen in der Bemühung, Struktur und Frische wieder einzufangen, wie es von Château Phelan Segur praktiziert wird. In einem Schritt, der von vielen begrüßt wurde, bewilligte das französische Institut national de l’origine et de la qualité (INAO) im Jahr 2019 sechs neue Sorten, basierend auf den Ergebnissen von elf Jahren Forschung auf einem Versuchsweinberg in Pessac-Léognan. Die vier Rotweinsorten – Arinarnoa, Castets, Marselan und Touriga Nacional – und die zwei Weißweinsorten Alvarinho und Liliorila können nun bis zu zehn Prozent einer Cuvée ausmachen. Sie werden nicht nur wegen ihrer Widerstandsfähigkeit unter den wärmeren, trockeneren Bedingungen geschätzt, sondern vor allem für ihre Anpassungsfähigkeit.
Es wird gehofft, dass dieser kleinere Prozentanteil für die dringend nötige Diversität in den Weinbergen sorgt, ohne den fundamentalen Bordeaux-Stil zu stark zu verändern. Und doch ist es ein radikaler Schritt für eine Region, deren bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts zurückgehende Weinbautradition eine so wichtige Rolle spielt.}

Veränderungen im Burgund

Ähnlich wie im Fall von Bordeaux basiert der Ruf des Burgunds auf einer sehr eng gefassten und spezifischen Identität: ein Weiß- und ein Rotwein (mehr oder weniger). Die Bedeutung der Nische wurde so auf eine ganz neue Ebene gehoben, und eine Zeit lang schienen himmelhohe Preise und ebenso hohe Nachfrage der Beweis für eine absolute Erfolgsgeschichte zu sein. Doch während Extreme von Frost, Hagel und Hitze häufiger auftreten, ist der Heilige Gral des Burgunder-Stils, der von der restlichen Welt inzwischen angestrebt wird, an seinem Herkunftsort vom Aussterben bedroht.
Der merkliche Wandel, der den 2019er-Jahrgang kennzeichnete, lässt die inhärenten Probleme des Chardonnays klar erkennen. Das extreme Wetter kulminierte in einer Reifeperiode, die 7 bis 14 Tage zu spät für die phenolischen Substanzen in den Traubenschalen war. Und nach der vollständigen Reifung der Trauben lagen die Alkoholwerte zwischen 13,5 und 15,5 Volumenprozent.
Im 2020er-Jahrgang hingegen wurde schon Mitte August gelesen – einer der frühesten Lesetermine, seit es Aufzeichnungen gibt. Bei der Lese ist man heute nicht mehr ausschließlich darauf bedacht, für ausreichende Zuckerwerte zu sorgen. Vielmehr liegt der Fokus auf dem Erhalt ausreichender Säure, damit der elegante Stil beibehalten werden kann, den Burgunder-Liebhaber verlangen. Einige Rotweinjahrgänge werden als „kalifornisch“ beschrieben, und aus Berichten ist zu erkennen, dass die durchschnittlichen Lesetermine bis zu 13 Tage früher liegen als 1988. Auch hier liegt das Problem darin, den Stil beizubehalten, den die Konsumenten von dieser Region erwarten und für den sie in den vergangenen Jahren himmelhohe Preise bezahlt haben.
Ohne den Spielraum, den ein Arbeiten mit verschiedenen Rebsorten bieten würde – da die Rebsorten von den Regeln der Appellation d’Origine Contrôlée festgelegt werden –, können Winzer die befreienden Veränderungen nicht vornehmen, die für ihre Kollegen aus der Neuen Welt selbstverständlich sind. …

Die vollständige Redaktion finden Sie in unserer Print-Ausgabe 6-7/2022