Noch nicht so lange her, da hatten wir zweieinhalb Parteien und zwei Fernsehsender. Die halbe Partei pflockte ihr gelbes Fähnlein mal den Schwarzen, mal den Roten ins politische Feld. So ergaben sich stabile Mehrheiten in der Mitte. Man war fest angestellt, diszipliniert und stand stramm hinter seiner Partei.
Die Welt war okay, und gelebt wurde, um zu arbeiten. Das Wochenende gehörte der Familie und der Pflege des Autos. Im Sommer ging es mit Sack und Pack nach Rimini. Für jede Brennerüberfahrt einen Aufkleber auf der Heckscheibe, und die Parteien konnten sich auf ihr Volk verlassen. Ob schwarz, rot oder gelb: Wir waren die Mitte.
Heute haben wir mehr Parteien im Parlament als je zuvor, und sie alle suchen den Wähler in der Mitte. Ist denen die Mitte abhandengekommen? Eigentlich nicht, sie hat sich nur verändert.
Die Mitte begrüßt die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, möchte aber ungern neben Asylbewerberunterkünften wohnen. Sie steht für Klimaschutz und fährt die Kids aber mit dem Diesel-SUV in die Kita oder zur Schule. Fliegt ein paar Mal im Jahr mit dem Billigflieger nach London, Barcelona oder Paris zum Shoppen. Und im Urlaub darf es auch mal Neuseeland oder Bali sein. Sie hat ihren umweltfreundlichen Coffee-to-go-Becher und das glutenfreie Brötchen immer griffbereit. Dabei ist weltweit weniger als ein Prozent der Menschen von einer Glutenunverträglichkeit betroffen. Egal, wir sind dabei.
Hauptsache, man ernährt sich bio oder besser noch vegan, und vor allem muss es Chiasamen sein. Und wer keine Lauf-App oder To-go-Becher hat oder schlimmer noch raucht oder ein paar Pfund zu viel auf den Rippen hat, der gehört nicht dazu. Das kann er sich abschminken, auch wenn er das neueste Handy am Ohr hat. Die Mitte hat keine Ecken und Kanten, sondern ist ordentlich rund geschliffen.
Und genau das hält die Mitte auch von den Politikern und den Parteien. Die haben keine Ecken und Kanten, sind aalglatt und rund geschliffen. Das „Und ab morgen gibt’s was auf die Fresse“ der Obergenossin war ein kerniger Ansatz. Leider nicht durchgezogen und die Chance versemmelt. Und so bleibt es, wie es ist.
Die Parteien haben kein Volk mehr, und das Volk hat keine Parteien mehr. Das Einzige, was die noch verbindet, ist Naturjoghurt mit Chiasamen.
Schau’n wir mal und nichts für ungut.
Euer Viktor