Der April zeigte sich so warm wie noch nie. Vielleicht dachte er, er wäre der Mai. Der dachte allerdings, er wäre der Juni, und war der fünftreichste Sonnenstundenmonat seit 67 Jahren. Nahtlos reihte sich ein Hitzerekord an den nächsten. Deutschland ächzte unter der prallen Sonne. Da blieb uns nur, mit einem kühlen Getränk auf den Start der Fußball-WM zu warten.
Nach einer wirklich grandiosen Eröffnungsfeier ging es endlich los. Das erste Spiel unserer Truppe lief ja nicht ganz so optimal. Na ja, Auftakt eben. Wird schon werden. Wurde aber nicht. Am 27. Juni um 17.45 Uhr war der Spuk vorbei: Südkorea kickte uns aus allen Fußballträumen. Was war das denn? Unglaublich: Jogis Truppe musste als Gruppenletzter die Koffer packen. Überall totale Verwirrung.
Wir hatten mittlerweile Permanenthitze, und die Volksseele kochte nach dem peinlichen „do svidaniya“ jetzt erst richtig hoch. An den Stammtischen der Republik wurde Ursachenforschung betrieben. „Ballbesitzfußball“ ist out. Wir brauchen wieder eine echte Neun. Jogi hat die Falschen zu Hause gelassen. Die spielen lustlos und sind zu arrogant. Aber das reichte nicht aus, um eine düstere Zukunft der Mannschaft herbeizureden. Was den Millionen von Hobbytrainern fehlte, war einer, auf den man draufhauen und den ganzen Frust abladen konnte. Ein Sündenbock. Mit dem Bild von Mesut Özil und Ilkay Gündogan neben Erdogan hatte man gleich zwei.
„Eigentor“ titelte die „Bild“. Ja, stimmt. Das war eine sehr unüberlegte, sogar dümmliche Aktion der beiden. Aber jetzt wurde die Diskussion über die schlechten Spiele unserer Truppe noch politisch. Die beiden hätten der Integrationsdebatte immensen Schaden zugefügt. Der „Fall“ eines in England lebenden und arbeitenden Multimillionärs gebe keine Auskunft über die Integrationsfähigkeit in Deutschland. Teamgeist mit türkischstämmigen Spielern funktioniere nicht.
All diese Äußerungen entfachten ein Bashing gegen die beiden und legten die scheinheiligen Debatten einiger Politiker offen. Integration muss von der Politik geleitet werden, nicht von zwei Fußballspielern. Mittlerweile ist die Hitzewelle abgeebbt, und Özil trägt nicht mehr den Bundesadler auf der Brust. Wenn man den rechten Sprüchen über türkischstämmige Nationalspieler folgte, dann wäre Integration gescheitert, und die deutsche Nationalmannschaft käme auf sehr lange Zeit nicht über die
Qualifikation hinaus. Beides wäre sehr bedauerlich.
Also, der nächste heiße Sommer kommt bestimmt. Hoffentlich bleiben uns solche Debatten erspart.
Nichts für ungut
Euer Viktor